Project Week

Am Montag machte sich recht früh eine Gruppe von fünf Schülern mit dem Auto eines Lehrers auf den Weg zum Prenj-Gebirge nordöstlich von Mostar. Nach 40 Minuten gefährlich schaukeliger Fahrt über Landstraßen und Waldwege (selbstverständlich unangeschnallt- wir sind schließlich in Bosnien) begannen wir die Wanderung zur ersten Hütte, genannt „Bijele Vode“, weißes Wasser. Die vollen Rucksäcke (gepackt mit Schlafsäcke, Isomatten und Essen für die nächsten fünf Tage) hingen schwer an unseren Schultern, wir kamen recht mühsam voran.

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Nach zwei bis drei Stunden, beim Laufen hatte ich mein Zeitgefühl völlig verloren, gelangten wir an ein idyllisches Buchenwäldchen, durchzogen von gelben Plastikbändern, davor hing ein rotes Schild mit einem Totenkopf. „Pazi Mine“, Vorsicht Minen. Emil, der begleitende Lehrer, wies uns an, keinesfalls den gekennzeichneten Weg zu verlassen und einen Sicherheitsabstand von mindestens zwei Metern zwischen uns zu bringen. Wie viele Minen genau noch in dem Wäldchen liegen weiß niemand genau, ihre Bergung ist teuer und aufwendig- zu teuer für Bosnien Herzegowina im Moment. Der Weg ging steil, und eine aufgeregt-bedrückte Stimmung lag auf der Gruppe. Die gelben Bänder, die sich links und rechts von uns hinzogen, erzählten vom von vergangenen Schlachten und Opfern, von der Rücksichtslosigkeit des Krieges. Zugleich kam es uns absurd vor, dass dieser hübsche, einsame Wald eine Todesfalle (gewesen) sein sollte.     

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Nach einiger Zeit verließen wir die Minenzone, den Weg verlassen durften wir immer noch nicht, nur zur Sicherheit. Schließlich erreichten wir, mit schmerzendem Rücken und schmerzenden Füßen, die Hütte. Genauergesagt: das kleine Haus. Es war sehr hübsch, erhöht in einem Tal gelegen, mit Bänken ringsum und einer herrlichen Aussicht. Innen gab es unten eine kleine Küche und einen Raum mit mehreren Tischen und Bänken, oben ein paar Schlafzimmer. Es gab weder Elektrizität noch fließend Wasser, Toilette und Badezimmer war die Natur. 3 Minuten entfernt befand sich ein Trinkwasserloch mit einem Eimer, vor dem Abend mussten wir nicht nur die Wasservorräte auffüllen, sondern auch jede Menge Holz für den Ofen holen. Abends machten wir Couscous, geschlafen wurde möglichst dicht am wärmenden Feuer.

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Am nächsten Morgen machten wir uns früh auf zur zweiten Hütte. Der Weg wurde zunehmends gebirgiger und felsiger, wir verließen die Wäldchen und kamen in eine kargere, aber nicht minder schöne Landschaft. Das Wetter war gut, ebenso die Laune, und nach einigen Stunden anstrengenden Laufens, auf und ab über die Berge, vorbei an riesigen Felsbrocken, knorrigen Nadelwäldern und gelben Grasflecken, erreichten wir unser Ziel.

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Die zweite Hütte war noch einfacher und gemütlicher als die erste. Unten hatte sie eine Art Gemeinschaftsraum mit Ofen, Bänken und zwei Tischen, auf dem Dachboden haben wir auf Styroporplatten geschlafen. Emil hat das Haus gemeinsam mit einer großen Gruppe von Menschen gebaut, das Holz und alle anderen Materialien mussten sie eigenhändig heraufschleppen. Seitdem ist sie nie abgeschlossen und bietet Wanderern jeder Zeit ein Dach überm Kopf und ein paar Vorräte an Essen und Holz. Letzteres mussten wir jeden Tag aus dem Wald heranschaffen, an trockenen Ästen mangelte es aber nicht. Die geplante Klettertour zu den zwei Gipfeln fiel wegen des unregelmäßig schlechten Wetters aus, doch die kürzeren Ausflüge die wir auf die Umliegenden Bergspitzen machten waren ebenfalls wunderschön. Ansonsten verbrachten wir unsere Zeit mit lesen, Kartenspielen, und, was für mich die Hauptsache war: In der Natur zu sitzen und in die Berge zu schauen. Jeder für sich, seiner eigenen Einsamkeit lauschend. Diese Ruhe war für mich nach all dem Stress und der Beschäftigtheit der letzten Wochen sehr wohltuend und wichtig: Nicht reden, nur atmen und lauschen. Die Berge allein machen nicht glücklich: Sie zeigen nur, wie unwichtig unser persönliches Glück ist. Glücklich machen der monotone Rhytmus der eigenen Schritte, die Schönheit und Weite der Landschaft und die alles umhüllende, nur vom Rauschen des Windes und gelegentlichen Vogelrufen durchbrochene Stille.

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Der Rückweg war belegt von einer dichten Schicht weißgrauen Nebels und gelegentlichen Regenschauern. Wir gingen den ganzen Weg von der Hütte zum Auto (auf dem Hinweg hatten wir ja im ersten Häuschen Zwischenhalt gemacht), aber nicht zuletzt dank der leichteren Rucksäcke verging die Zeit wie im Flug und das Wandern fiel uns um einiges leichter. Die Wälder, auf dem Hinweg voll mit gelb-orangenen Blättern, waren in der Zwischenzeit entlaubt, es schien, als seinen wir im Spätsommer aufgebrochen und im Spätherbst zurückgekehrt. In den ganzen fünf Tagen haben wir abgesehen von uns Mitgliedern der Project Week keine Menschenseele gesehen, keine Autos, keine Häuser außer die, in denen wir geschlafen haben. Tatsächlich, es hätte eine Zombie-Apokalypse oder eine Pest-Epidemie ausbrechen können und wir hätten nichts gemerkt! Die Rückkehr in die Zivilisation bzw. die Residence und dem damit verbundenen Stress war demnach nicht ganz einfach: aufgeregte Schulemails die beantwortet werden müssen, Orgakram um den man sich kümmern muss, Wäsche machen und so weiter. Eines jedoch weiß ich sehr wohl zu schätzen: Die erste warme Dusche nach fünf Tagen ohne richtige Waschmöglichkeit war ein Genuss 🙂

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